LSVD kritisiert Angriff auf Verbesserung der rechtlichen Anerkennung, der gesundheitlichen Versorgung und der gesellschaftlichen Akzeptanz von trans* Menschen
Statement des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) zu der Veröffentlichung des Sammelbands „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streitschrift“ von Alice Schwarzer und Chantal Louis am 30. März 2022
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) hält die Erklärungen von Alice Schwarzer zum Thema Transgeschlechtlichkeit für grundlegend falsch und unverantwortlich. Sie sind gefährlich, weil sie sich gegen Verbesserungen in der rechtlichen Anerkennung, der gesundheitlichen Versorgung und der gesellschaftlichen Akzeptanz von trans* Menschen richten. Das Buch heizt eine Debatte weiter an, deren negative Auswirkungen trans* Menschen zu spüren bekommen. Wir wissen, dass es sehr viele Frauen und Feminist*innen gibt, die Schwarzers Blick auf Transgeschlechtlichkeit ablehnen und für ein Selbstbestimmungsgesetz eintreten. Für sie wie für uns besteht kein Widerspruch zwischen der Anerkennung von trans* Menschen und dem Aufbrechen stereotyper Geschlechtervorstellungen.
Für den LSVD ist die zunehmende Sichtbarkeit von trans* Personen ein Erfolg gesellschaftlicher Emanzipation. Wenn Transgeschlechtlichkeit akzeptiert wird, es Vorbilder gibt und es Menschen leichter gemacht wird, offen trans* zu sein, dann wird es auch mehr offen lebende trans* Menschen geben. Schwarzer behauptet jedoch, eine zunehmende Zahl offen lebender trans* Menschen sei besorgniserregend. Sie zeuge davon, dass Menschen zu schnell als trans* anerkannt würden. Diese Coming-outs müssten angezweifelt und hinterfragt werden. Trans* Menschen würden gesellschaftlich vorschnell bestärkt. In letzter Konsequenz ist das ein Plädoyer dafür, es trans* Menschen so schwer wie möglich zu machen, sie in die Unsichtbarkeit zu drängen und als Problem und ungleichwertig darzustellen. Das ist ein fataler trans*feindlicher Irrweg!
Die Debatte ist auch schädlich, weil die wenigsten in Deutschland trans* Menschen persönlich kennen. Sie können daher die Behauptungen nicht mit der Lebenserfahrung von trans* Menschen abgleichen. Die wenigsten wissen auch etwas über den rechtlichen Stand in Deutschland sowie über die medizinischen Leitlinien für geschlechtsangleichende Maßnahmen. Für uns ist es daher verwerflich, dass Alice Schwarzer ihre Bekanntheit und Reichweite nutzt, um über die Existenz von Transgeschlechtlichkeit zu streiten. Statt tatsächlich aufzuklären, werden Falschbehauptungen verbreitet und Vorurteile geschürt. In keiner Weise spiegeln die Behauptungen die Alltags- und Lebensrealität von trans* Personen wider.
Wir werben für ein Klima, das Vielfalt als Bereicherung erkennt und wertschätzt. Wir wollen, dass lesbische, schwule und bisexuelle Lebensweisen wie auch Trans- und Intergeschlechtlichkeit als selbstverständlicher Teil gesellschaftlicher Normalität respektiert und anerkannt werden. Selbstbestimmtes lesbisches und schwules Leben bedeutet in der Regel auch einen Ausbruch aus überkommenen Rollenerwartungen. Lesben und Schwule kennen die homophoben Vorurteile, keine „richtigen“ Frauen bzw. Männer zu sein. Hier haben sie biografisch oft starke Berührungspunkte mit trans- und intergeschlechtlichen Menschen, die für ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpfen. Der LSVD beteiligt sich intensiv an diesem Kampf. Es geht um die Verwirklichung elementarer Menschenrechte wie des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, die Achtung des Privatlebens und die persönliche Handlungsfreiheit.
Zusammen mit dem Bundesverband Trans* haben wir die Broschüre „Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden“ veröffentlicht. Darin informieren wir über Transgeschlechtlichkeit und das von queeren Verbänden geforderte Selbstbestimmungsgesetz. Wir entkräften viele der Behauptungen, die auch in dem neuen Buch von Alice Schwarzer vorkommen.
Warum die Thesen, die auch Alice Schwarzer in ihrem Buch verbreitet, falsch, gefährlich und trans*feindlich sind, erklären wir ausführlich hier: 9 Kritikpunkte an Alice Schwarzers gefährlichen und falschen Thesen zu “Transsexualität”.